Kongress: „Kinder in seelischer Not. Traumapädagogik. Psychische Traumatisierungen im Kindes- und Jugendalter“

Kongress: „Kinder in seelischer Not. Traumapädagogik. Psychische Traumatisierungen im Kindes- und Jugendalter“

Vom 15.-17. November 2018 fand in Moskau der Internationale wissenschaftlich-praktische Kongress „Kinder in seelischer Not. Traumapädagogik. Psychische Traumatisierungen im Kindes- und Jugendalter und ihre Folgen. Aufgaben der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft bei Prophylaxe und Rehabilitation“ statt.

„Traumaarbeit ist eigentlich Friedensarbeit. Sie verhindert Gewalt. Wenn wir Kindern helfen, seelische Wunden so zu integrieren, dass sie als Jugendliche nicht von ihren Traumata bestimmt und gelenkt werden, dann können wir Ereignisse wie unlängst den ersten Amoklauf mit Waffen und Toten hier in Russland vielleicht verhindern. Wenn wir mit Kindern, die Krieg erlebt haben, arbeiten, können wir verhindern, dass sie eine Generation später wieder Krieg inszenieren, weil das Trauma sie regiert. Traumaarbeit ist Friedensarbeit!“

Mit diesen Worten beendete Anne Hofinga den Internationalen Kongress „Kinder in seelischer Not. Traumapädagogik. Psychische Traumatisierungen im Kindes- und Jugendalter und ihre Folgen“. Veranstalter war das Deutsch-Russische Sozialforum, Hauptpartner waren die Moskauer Pädagogische Staatsuniversität, die vor allem die Räume und die Hilfe von 80 Freiwilligen stellte, und die russische Seite des Petersburger Dialogs. Die Perspektive Russland e.V. und das Centr Perspektiva übernahmen den Löwenanteil der Organisation. Sechs Plenumsvorträge von deutscher Seite führten ins Thema ein, sechs Initialvorträge schilderten die Situation bei der Hilfe für traumatisierte Kinder in Russland, der Ukraine und Georgien. In 40 Workshops wurde das Thema praktisch und inhaltlich vertieft und erweitert, in zwei wissenschaftlichen Sektionen zusätzlich beleuchtet. Ein Runder Tisch untersuchte die Möglichkeiten weiterführender Kooperationen zur Einführung der Traumapädagogik in den postsowjetischen Raum, und eine Abschlussdiskussion der Referenten und Workshopleiter mit den Teilnehmern sammelte dazu konkrete Vorschläge. Mehr als ein Dutzend direkter Anschlusskooperationen wurde zwischen deutschen und russischen NGOs, aber auch unter Hochschulen verabredet. Teilnehmer des Kongresses waren über 500 Pädagogen, Sozialarbeiter, Kunsttherapeuten, Pflegeeltern, Mitarbeiter von Polizei und Jugendgefängnissen, Studenten, aber auch Ärzte und Psychologen aus 30 Gebieten Russlands von Kaliningrad bis Wladiwostok, aus der Ukraine, Weißrussland, Georgien, Armenien, Estland, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan, Aserbaidschan, Moldawien und Deutschland.

Auf der festlichen Eröffnungsfeier richteten hohe Amtsträger, u.a. der Deutsche Botschafter, bewegende persönliche Worte an das Auditorium, und Valentina Matwienko, die Vorsitzende des Föderationsrates Russlands, schickte eigens ein schriftliches Grußwort. Am ersten Abend empfing der Deutsche Botschafter die Referenten, Workshopleiter, Partner und Organisatoren des Kongresses in seiner Residenz. Noch wichtiger war eine andere Ebene. Schon vor der fest-lichen Eröffnung des Kongresses spielte das Universitätsorchester während der langen Registrierungsprozedur Musik aus den Ländern der Teilnehmer. Alle Kulturen leuchteten da klanglich auf. Viele Workshopleiter präsentierten auf einem „Jahrmarkt der Methoden“ ihr Handwerkszeug so konkret „zum Anfassen“, dass auch skeptische Teilnehmer unmittelbar zum Mittun animiert wurden. Der deutsche Botschafter ging durch die Reihen, ließ sich Methoden und Ansätze erklären, und die russischen Teilnehmer staunten über so hohe Zugewandtheit eines Amtsträgers. Auf der Bühne im Auditorium Maximum probte das deutsch-russische Eurythmie-Ensemble seinen Auftritt zur Eröffnung des Kongresses und erfuhr nebenbei, dass dies der Saal sei, in dem schon Lenin zu Beginn der Revolution zu den Massen gesprochen hatte. Da lag der Gedanke nahe, dass wir mit der Einführung der Traumapädagogik Methoden nach Russland brachten, die langfristig auch seelische Wunden, die das Sowjetregime schlug, in der generationenüberspannenden Erinnerung der postsowjetischen Völker heilen könnten. Viele verstanden die hohe Symbolkraft der Eröffnung unseres Kongresses ausgerechnet in diesem historischen Saal. Im Vorbeigehen hörte man immer wieder Äußerungen darüber, dass ja eigentlich ganz Russland traumatisiert sei. Von diesem Kongress erhoffe man richtungsweisende Antworten auf brandaktuelle Fragen. Die freudige Erwartung wandelte sich in den folgenden Tagen immer stärker zu einer dichten, begeisternden, alle Aktivitäten tragenden Aufbruchstimmung, die alle Teilnehmer vereinte, beflügelte und immer neue menschliche und professionelle Begegnungen zwischen Vertretern aller teilnehmenden Völker stiftete.

Hier waren Menschen zusammengekommen, die zu allen Zeiten dann tätig werden, wenn die hohe Politik und die Eliten ihrer Konflikt- und Kriegsgelüste müde geworden sind und die Trümmerfelder verlassen, die sie anrichteten. Dann kommen Persönlichkeiten wie die Fachleute auf dem Kongress, einfach Bürger und Menschen, und räumen die Trümmer fort, bauen die Häuser auf und heilen die Seelen. Über Länder- und Kulturgrenzen hinweg schaffen sie dem Frieden neue Grundlagen.

Über drei Jahre haben wir den Kongress vorbereitet. Er wuchs vom ursprünglich geplanten einfachen Fortbildungsseminar zum wahrscheinlich größten Event, das unser kleiner Verein Perspektive Russland e.V. je anstoßen und verantwortlich durchführen wird. Dabei hatten wir immer massivere Hindernisse zu überwinden. Fast war es, als wollten uns dunkle Kräfte mit zunehmender Gewalt zwingen, das Kongressvorhaben abzusagen. Vierzehn Tage vor Kongressbeginn fehlten z.B. noch immer die verbindlichen Zusagen der beiden Hauptförderer. Aber Hunderte von Vorab-Anmeldungen und Emails, die von großer Vorfreude und noch größerem Bedarf an gerade diesem Thema erzählten, überfluteten uns. Das machte uns immer wieder Mut. Begeisterte Dankbriefe von Teilnehmern zeugen heute davon, wie wichtig das Kongressthema beruflich und privat für sie war.